Soziale Bewegungen gegen die „globale Sicherheitsarchitektur“!

Eine Kritik der Militarisierung sozialer Konflikte

  • Studie
    zu den Strategiepapieren der „Future Group“ (zur zukünftigen
    EU-Innenpolitik) und von Militär-Strategen (zur „strategischen
    Neuausrichtung“ der NATO)
  • Vorschlag einer Kampagne gegen die EU

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Weltweit
nehmen gesellschaftliche Konflikte zu. Jüngste Unruhen wegen
Nahrungsmittelpreisen, Proteste gegen steigende Energiepreise, die
Klimakrise und eine zunehmende Sorge um Knappheit von Rohstoffen, aber
auch immer weniger regulierbare und krisenhafte Finanzmärkte sorgen für
ein Gefühl von Unsicherheit. Die G8-Staaten wollen diese Konflikte und
die offenkundige Akkumulationskrise der globalen Weltwirtschaft durch
marktorientierte Lösungen in den Griff bekommen, um das
Wirtschaftswachstum wieder auf Kurs zu bringen. Unter Beschwörung der
„Bekämpfung des Terrorismus“ wird eine fortschreitende Militarisierung
vieler Lebensbereiche vollzogen. Mit neuen Kriegen öffnet sich der
Kapitalismus Märkte, sichert Rohstoffe und ihre Transportwege.
Kapitalismus und Krieg bedingen einander; wer oder was nicht
eingebunden und profitabel gemacht werden kann, wird bekämpft.

Für 2009 kündigen sich sicherheitspolitische Veränderungen an, deren Folgen derzeit kaum abzuschätzen sind.

Mit „zivil-militärischer Zusammenarbeit“ verschmelzen innere und
äußere Sicherheit zur „gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur“.
Sicherheitsbehörden forcieren dafür den Begriff der „Homeland
Security“, der sich am gleichnamigen Ministerium in den USA,
gegründet nach dem 11. September 2001, orientiert. „Homeland Security“
(im deutschen Diskurs zum „Nationalen Sicherheitsrat“ plädiert die CDU
für „vernetzten Heimatschutz“) organisiert sich aus Staat, Wirtschaft
und Wissenschaft. „Homeland Security“ leistet damit einen Beitrag zu
einer „globalen Sicherheitsarchitektur“ der Industrieländer, in die
supranationale Institutionen und multilaterale Bündnisse eingebunden
sind.

Anfang April trifft sich die NATO zur Frühjahrstagung in Strasbourg und Kehl. Vom NATO-Gipfel
in Bukarest 2008 wurden mehrere Diskussionen auf 2009 vertagt, um dort
endgültige Entscheidungen über eine strategische Neuausrichtung der
Allianz von gegenwärtig 26 Staaten zu treffen. Ehemalige Stabschefs der
NATO [1] haben im April das Diskussionspapier
„Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ verfaßt, in dem eine
umfassende Transformation der NATO befürwortet wird:

„Die
wichtigste Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, auf das
vorbereitet zu sein was sich nicht vorhersagen lässt […] Den
westlichen Alliierten steht eine lange, andauernde und präventiv zu
führende Verteidigung ihrer Gesellschaften und ihrer Lebensart („way of
life“) bevor. Deshalb müssen sie Risiken auf Distanz halten, während
sie ihre Heimatländer beschützen“.

Innere Sicherheit
(„Homeland Security“) und militärische Interventionen können nicht mehr
als getrennt voneinander betrachtet werden und sollen „fusionieren“.
Einer der strategisch wichtigen Partner hierbei ist neben den USA
die EU, die ihre Integration in die globale Marktwirtschaft und ihre
offenen Grenzen ohne eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur nicht
aufrechterhalten kann. Das Strategiepapier behauptet eine grundlegende
Veränderung von „Bedrohungen, Risiken und Gefahren“. Angestrebt wird
ein „Umfassender Ansatz“ („Comprehensive Approach“), der eine
Koordination von Militär, Außenpolitik, „Homeland Security“,
Zivilschutz und Entwicklungshilfe vorsieht. Die NATO
soll nicht mehr bloß auf Bedrohungen reagieren, sondern Risiken
vorhersehen, präventiv militärisch begegnen oder in Eigeninitiative
Erstschläge ausführen, um Gefährdungen erst gar nicht entstehen zu
lassen.

In die gleiche Stoßrichtung zielen einige europäische
InnenministerInnen mit ihren Vorschlägen zur Neugestaltung der
EU-Innenpolitik. Die vom deutschen Innenminister Schäuble 2007
initiierte „Future Group“ [2] fordert in dem Papier „Freedom, Security,
Privacy – European Home Affairs in an Open World“ einen gravierenden
Kurswechsel europäischer Innenpolitik hin zu „Homeland Security“
(obgleich der Begriff ausgespart bleibt). Europa soll „Vorreiter“ in
der Reaktion auf „Sicherheit, Migration und technologische
Herausforderungen“ werden. Das Papier setzt die Prioritäten:

„Polizeikooperation,
Kampf gegen den Terrorismus, Management von Missionen in Drittstaaten,
Migration und Asyl sowie Border Management, Zivilschutz, neue
Technologien und Informationsnetzwerke“.

Alle fünf Jahre
beschließt die EU neue Leitlinien für die „Innere Sicherheit“ der
Mitgliedsstaaten. Nach dem „Tampere-Programm“ (1999 – 2004) und dem
„Haager Programm“ (2004 – 2009) sollen in der zweiten Jahreshälfte 2009
unter schwedischer Präsidentschaft mehrere Paradigmenwechsel vollzogen
werden. Charakteristisch ist die „Strategische Früherkennung“ bzw.
„Vorverlagerungsstrategie“ als Vorbereitung auf „Bedrohungen“, die zwar
gegenwärtig nicht real, sondern „vorstellbar“ sind. Mittels
„Risikoanalysen“ werden Gefahren projiziert, die eine Aufrüstung
innerer Sicherheit und ihre Verzahnung mit Militär, Forschung und
Zivilschutz als einzigen Ausweg erscheinen lassen. Wie auch im NATO-Papier gefordert sollen
Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministerien
zusammenarbeiten, um „Rechtsstaatlichkeit“ in „Drittländern“ zu sichern
und Bedrohungen für Europa zu verhindern:

„Das macht Außenbeziehungen zur Priorität für die zukünftige Ausgestaltung europäischer Innenpolitik“.

Im Folgenden analysieren wir die Papiere der NATO
und „Future Group“, um einerseits den radikalen Kurswechsel
gegenwärtiger „Sicherheitspolitik“ zu erfassen, und andererseits
dringende gemeinsame Interventionsräume für soziale Bewegungen
aufzuzeigen.

„Den Daten-Tsunami in Information verwandeln“

Das EU-Strategiepapier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an open world“ [3]

Die
im letzten „Haager Programm“ festgeschriebenen innenpolitischen
Veränderungen sind bereits von vielen EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt:
Vereinheitlichung der Terrorismus-Gesetzgebung,
Vorratsdatenspeicherung, Ausbau bestehender Datenbanken und gemeinsamer
Zugriff darauf, grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit, z.B. bei
Sportereignissen oder politischen Massenprotesten, „Border Management“,
Fingerabdrücke bei Antrag auf EU-Visum, ab 2009 biometrische
Identifikatoren in neuen Ausweispapieren, Ausbau der
Sicherheitsforschung, Zusammenarbeit in Strafsachen, Polizei im Ausland
etc. Auf EU-Ebene sind neue Institutionen gegründet bzw. bestehende mit
erweiterter Verantwortung versehen worden.

Viele der
beschriebenen Regelungen wurden nach dem 11. September 2001 als
vorübergehende Maßnahmen im „Kampf gegen den Terrorismus“ angekündigt.
Heute ist dieser Ausnahmezustand zur Norm geworden und wird weiter
verschärft. Als weitere Hauptbedrohung der Grundsätze des „Europäischen
Modells“ gilt in EU-Papieren Migration und „organisierte Kriminalität“.
In ihrem Papier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in
an Open World“ macht die „Future Group“ drei „horizontale
Herausforderungen“ für die europäische Sicherheit aus und schlägt zur
„Herausbildung von Europa’s Position in einer globalisierten Welt“ vor:

  • „Aufrechterhalten
    des ‘Europäischen Modells’ im Bereich europäischer Innenpolitik durch
    das Balancieren von Mobilität, Sicherheit und Privatsphäre
  • Bewältigen der zunehmenden Abhängigkeit zwischen innerer und äußerer Sicherheit
  • gewährleisten eines bestmöglichen Datenflusses innerhalb europaweiter Netzwerke“.

Die
Veränderungen europäischer Innenpolitik stehen im Zusammenhang der
Diskussion um den Lissabon-Vertrag, der die Schaffung EU-übergreifender
Organisationen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vorsieht. Nach dem
„Konvergenz-Prinzip“ werden zwischenstaatliche Hürden und juristische
„Hindernisse“ abgebaut, Gesetze „harmonisiert“ und „vereinfacht“,
Ausrüstung und Personal zusammengefaßt („pooling“), Ausbildung
standardisiert und die „Interoperabilität“ bestehender Systeme
angestrebt. Wie auf vielen Ebenen innerhalb der EU sind die
Entscheidungsstrukturen des Bereichs „Justiz und Inneres“ („Justice and
Home Affairs“) undurchsichtig. Als ihr Kernziel wurde im EU-Vertrag
„die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“
festgelegt.

Zuständig für diesen Bereich ist seit Frühjahr
2009 der „Kommissar für Freiheit, Sicherheit und Recht“, Jaques Barrot.
Er löste 2008 Franco Frattini ab, der in Italien unter dem neuen
Kabinett von Berlusconi Außenminister für die „Forza Italia“ wurde.
Zusammen mit dem deutschen InnenministerInnen Schäuble hat Frattini
eine zentrale Rolle bei der Verschärfung europäischer
Sicherheitspolitik gespielt.
Im Bereich der Inneren Sicherheit sollen die relativ jungen
EU-Institutionen nun noch mehr operative Kompetenzen erhalten, um
etwaige Unzufriedenheiten im Innern unter Kontrolle zu behalten: Die
europäische Polizeiakademie CEPOL, die Europäische Gendarmerietruppe EGF,
die Polizeiagentur Europol, das „EU-Lage- und Analysezentrum“ zur
Auswertung nachrichtendienstlicher Informationen (SitCen) oder die
Grenzschutzagentur Frontex. Sie sollen Zugriff auf „alle relevanten
Informationen“ erhalten. In den Mitgliedsstaaten sollen nach deutschem
Vorbild „Anti-Terrorismus-Zentren“ aufgebaut werden, die Polizei und
Nachrichtendienste zusammenfassen und europaweit Informationen tauschen
(soweit nationale Interessen durch die Weitergabe
nachrichtendienstlicher Erkenntnisse nicht berührt werden). Für alle
EU-Polizeibehörden soll ein übergreifendes „Komitee für innere
Sicherheit“ geschaffen werden. Damit dürfte die Idee eines gemeinsamen
„EU-InnenministerInneniums“ ein Stück näher rücken, das bisher mit der
Einrichtung des „Fachausschusses COSI“ betrieben wurde.

Die
Koordination unter den EU-Sicherheitsbehörden wird durch sog.
„Verbindungsbeamte“ („Liaison Officers“) abgewickelt, für die in jedem
Mitgliedsland Anlaufstellen eingerichtet wurden und die bereits jetzt
mit hohen Kompetenzen ausgestattet sind. Die „Future Group“ rät, ihr
Netzwerk weiter auszubauen und zu stärken.

Gemäß der
Ideologie von „Homeland Security“ wird die innere Sicherheit nicht mehr
nur als eine Angelegenheit von Innenpolitik, sondern als gemeinsame
Anstrengung von Politik, Militär, Polizei, Zivilschutz,
Sicherheitsindustrie, Forschung und Akademien verstanden. Ihre Grenzen
„verwischen“, „erodieren“, seien „intrinsisch voneinander abhängig“ und
verlangten einen „umfassenden, globalen Ansatz“ („comprehensive global
approach“). Dementsprechend verschränken sich die Politikbereiche unter
dem Primat von Sicherheit:

„Die Gruppe rät dringend, ein
gesamtheitliches Konzept zu entwickeln, z.B. Aspekte abdeckend von
Entwicklung, Migration, Sicherheit, Wirtschaft, Finanzen, Handel und
Außenpolitik, um damit der Europäischen Union zu erlauben eine
verantwortliche und glaubwürdige Rolle in internationalen Beziehungen
zu spielen“.

Als Beitrag zur „globalen
Sicherheitsarchitektur“ soll innere Sicherheit auch unter verschiedenen
Staaten organisiert werden. Hauptaugenmerk liegt auf den USA
, mit denen die EU bereits mehrere bilaterale Abkommen geschlossen hat:
Datenaustausch Europol, Ausweisung, gegenseitige Hilfe, Passagierdaten,
SWIFT-Transaktionen, Container-Sicherheit.

„Im
Feld von Freiheit, Sicherheit und Recht müssen Aktionen und Maßnahmen
einer strikten geographischen Priorisierung und politischer
Differenzierung folgen: die Europäische Union hat zuerst ihre
grundlegenden strategischen Interessen zu definieren. […] In einer
zweiten Stufe muß die Europäische Union identifizieren, welche
Drittländer von vitalem Interesse für eine Kooperation sind“.

Zu
„geographischen Herausforderungen“ zählen die „Kandidatenländer“,
West-Balkan, EU-Nachbarländer, Mittelmeer-Region, Rußland, Afrika,
Lateinamerika, Afghanistan, Irak und Nachbarstaaten, China und Indien.
Die „Future Group“ schlussfolgert, dass die „Verwischung der Grenzen
zwischen innerer und äußerer Sicherheit“ und eine
„Internationalisierung von Konfliktlösung“ ein Eingreifen außerhalb der
EU „erforderlich“ macht. Die aggressive Außenpolitik der EU ist zwar
nichts Neues, doch dass InnenministerInnen sie zur Chefsache erheben
markiert eine neue Ära. 21 der 27 EU-Staaten sind Mitglied der NATO
(und die meisten von ihnen in den Afghanistan-Krieg involviert).
EU-Polizei ist in „Drittländern“ zunehmend in militärische Missionen
integriert. Die EU-Polizeimission EULEX
übernimmt z.B. im Kosovo Aufgaben wie Aufstandsbekämpfung, Schutz von
Eigentum oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die
gemeinsame „Europäische Gendarmerietruppe“ (EGF) mit Sitz im
italienischen Vicenza soll verstärkt in Auslandsmissionen eingebunden
werden. Polizeieinsätze gelten dabei als „zivile Interventionen“.
Zukünftig sollen alle im Ausland operierenden Kräfte (Militär, Polizei,
Diplomatie, Entwicklungshilfe, Zivilschutz, „Einrichtungen der
Rechtsstaatlichkeit“) bereits im Planungsstadium auf gegenseitige
Erkenntnisse zurückgreifen, in gemeinsamen „Mission Situation Centres“
operieren und ihre Informationen anderen EU-Behörden zur Verfügung
stellen. Potentielle Einsatzgebiete sind zahlreich:

„Institutionenbildung,
Rechtsstaatlichkeits-Missionen, Wahlen, Demokratisierung,
Zivilgesellschaft und humanitäre Hilfe. […] Die unüberschaubare
Bandbreite von Bedrohungen reicht von Kriegssituationen zu
terroristischen Anschlägen, organisiertem Verbrechen, gewalttätigen
Demonstrationen, natürlichen oder menschengemachten Katastrophen und
gewöhnlichen Polizeiaufgaben“.

In den Mitgliedsländern,
aber auch auf EU-Ebene sollen neue dezentrale „Kompetenzzentren“
entstehen um gemeinsame Aufgaben zu bündeln. Zur zunehmenden
Verschränkung polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit sollen
gemeinsame Überwachungszentren für sämtliche Abhörmaßnahmen der
Telekommunikation aufgebaut werden. An den EU-Außengrenzen werden
gemeinsame „Police and Customs Cooperation Centres“ (PCCC) installiert.

Migration
wird von den EU-InnenministerInnen als „inhärentes Phänomen unserer
zunehmend globalisierten Gesellschaften und Wirtschaft“ definiert. Der
wirtschaftliche Aspekt steht dabei im Vordergrund. Demographische
Entwicklungen werden besorgt registriert und ein Zuwachs an benötigter
Arbeitsmigration prognostiziert. „Legale Migration“ soll weiter
gestärkt werden, um den Arbeitsmarkt der EU zu versorgen. In der
Integrationspolitik sollen „legitime Anforderungen der empfangenden
Gesellschaft berücksichtigt werden. Das Verhältnis von „Angebot und
Nachfrage“ zwischen EU und Arbeitern aus „Drittländern“ soll aber
lediglich als Hintertürchen existieren und durch den Markt bestimmt
werden:

„Die Gruppe rät, dass Mitgliedsstaaten alle Möglichkeiten einer intra-europäischen Migration vollständig ausschöpft“.

In „Drittstaaten“ sollen EU-Migrationsbehörden installiert werden,
„mit Verantwortung zur Erteilung von Visa und damit verbundenen Fragen sowie zur Rekrutierung von Immigranten“.
Für die EU soll ein ähnliches „entry-exit“-System wie das ab 12. Januar 2009 in den USA vorgesehene Online-System ESTA
(„Electronic System for Travel Authorization“) eingesetzt werden, um
eine Einreisegenehmigung zu beantragen. Das US-System richtet sich an
Touristen und Geschäftsreisende. Mobilität stellt einen zentralen Punkt
in Bezug auf Arbeitsmarktpolitik und Tourismus dar und hat damit auch
eine sicherheitspolitische Dimension:

„Wenn Bürger sich nicht sicher fühlen, ist es höchstwahrscheinlich das sie überhaupt nicht mehr reisen wollen“.

InhaberInnen
eines EU-Reisedokumentes soll der Grenzübertritt erleichtert werden:
„Ein ‘one-stop approach’, der alle checks und Kontrollen die zu
verschiedenen Zwecken ausgeführt werden integriert; das heißt: bezogen
auf Personen, Güter, Veterinär und Pflanzenschutz, Verschmutzung,
Terrorismus und organisiertes Verbrechen“. Hier sollen neue
Technologien des „Border Management“ zum Einsatz kommen (z.B.
biometrische Verfahren, Röntgentechnologie, RFID-Chips).
Neben
einer Vereinheitlichung der Asylgesetzgebung sollen weitere
Anstrengungen im „Kampf gegen illegale Migration“ unternommen werden,
forciert wird eine „effektive europäische Rückkehrpolitik“. Das
„Europäische Grenzkontrollsystem” (EUROSUR) soll ausgebaut werden, damit

„die
Zahl der Drittstaatsangehörigen reduziert wird, die illegal in das
Hoheitsgebiet der EU gelangen, indem ein größeres Situationsbewusstsein
für die Lage an den Außengrenzen entwickelt und die Reaktionsfähigkeit
der Nachrichtendienste und Grenzschutzbehörden verbessert wird“.

Hierzu
sollen bestehende Institutionen und Programme stärker vernetzt werden.
Im Mittelpunkt soll dabei die „Grenzschutzagentur Frontex“ im Kampf
gegen Migration, „organisiertes Verbrechen“, Drogenhandel und
Terrorismus stehen.

„Der Erfolg der Frontex-Missionen
wird geschwächt durch das Fehlen präziser rechtlicher Maßnahmen, z.B.
das System der Leitung von Frontex-Maßnahmen bezogen auf z.B. souveräne
Aktionen ausgeführt von nationalen Schiffen, Flugzeugen und
Verantwortlichkeiten für Flüchtlinge, Asylsuchende und Schiffbrüchige.
Hierfür muß der Entwicklung solcher gemeinsamen Regelungen Priorität
gegeben werden“.

Mitgliedsstaaten sollen größere
Anstrengungen unternehmen, Frontex mehr Verantwortung bei kurzfristigen
„Missionen“ zu erlauben, regionale Abteilungen einzurichten oder
Technik und Material zur Verfügung zu stellen. Frontex soll nicht nur
nationale Grenzschutztruppen ausbilden, sondern sie inspizieren und
evaluieren dürfen. Mehr Abschiebungen („return flights“) sollen unter
autonomer „Initiative, Organisation und Koordination“ von Frontex
abgewickelt werden. Angestrebt wird eine gemeinsame „corporate
identity“ aller EU-Grenztruppen als „European Border Guards“.
EU-Grenztruppen sollen auch außerhalb der EU operieren, wie etwa
zwischen Lybien und Niger bzw. Tschad. Auf See soll ihre Verantwortung
auf „territoriale Gewässer betroffener Länder“ ausgedehnt werden.

Große
Sorge bereitet den InnenministerInnen die Standardisierung von
Sicherheitstechnik. Zivile und militärische Forschung wird wie im
„European Security Research Programme“ (ESRP) zusammengeführt (allein
das ESRP hat für 2007-2013 ein Budget von 1,4 Milliarden €). Von deutscher Seite wurde das ESRP von Repräsentanten des BKA, der Fraunhofer Gesellschaft sowie den Rüstungskonzernen Siemens, Diehl und EADS
auf den Weg gebracht. Europäische Polizeibehörden ärgern sich über
Datenschutz, wie die zunehmende Nutzung von Verschlüsselungstechniken
in der Telekommunikation (PGP, Skype). Zukünftig sollen Standards
entwickelt werden, die den Schnüfflern Abhörmaßnahmen erleichtern
sollen. Auch im Bereich Videoüberwachung sollen Systeme vereinheitlicht
werden, um technische Probleme des gemeinsamen Zugriffs z.B. auf die
biometrischen Daten abzubauen. Geforscht werden soll auch zur Nutzung
„unbemannter Systeme“ in der Polizeiarbeit (sog. „Unmanned Air
Vehicles“ (UAV), „Drohnen“, in Sichtweite ferngesteuert und mit Kameras
ausgerüstet). Etliche Polizeien in Europa testen die Nutzung UAV in der allgemeinen Polizeiarbeit. Auch Frontex unterhält dazu ein Forschungsprogramm. Der Einsatz von UAV hat in der Schweiz bereits zu Festnahmen von MigrantInnen an der „Grünen Grenze“ geführt.

Datenbanken
und neue technische Entwicklungen spielen eine zentrale Rolle in der
Neugestaltung der EU-“Home Affairs“. Sicherheit und individuelle Rechte
können in dieser Logik nur in einer „Atmosphäre kollektiver Sicherheit“
gedeihen, erklärt der frühere EU-Kommissar für „Home Affairs“ Frattini.
Seine Formulierung fand Eingang in das Strategiepapier. Neue
Technologie und gemeinsame Datenbanken

„können mehr Sicherheit für Bürger und gleichzeitig größeren Schutz des Rechts auf Privatsphäre sichern“.

Hier
wird die Argumentation der Kritiker, dass der Zugang von
Hunderttausenden Angehörigen europäischer Sicherheitsbehörden auf Daten
aller EU-Bürger enorme Sicherheitsrisiken produziert, auf absurdeste
Weise umgedreht.
Die Verfolgungsbehörden stehen nicht mehr vor dem Problem, Zugang zu
umfangreichen Datenbeständen zu erlangen: Meldebehörden, Finanzämter,
Provider-Daten, Banken, NutzerInnenprofile im Internet (MySpace,
Facebook, Second Life), e-government, Reiseprofile,
Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung, GPS.
Die gegenwärtige Aufrüstung „in Zeiten des Cyberspace“ besteht darin,
sie sinnvoll zu verwalten und in Beziehung zu setzen. Die Rede ist von
„gewaltigen Informationsmengen, die für öffentliche
Sicherheitsorganisationen nützlich sein können“:

„Information
ist der Schlüssel, um die Öffentlichkeit in einer zunehmend vernetzten
Welt zu beschützen, in der öffentliche Sicherheitsorganisationen Zugang
zu fast grenzenlosen Mengen nützlicher Informationen haben. Das ist
Herausforderung und Gelegenheit zugleich – öffentliche
Sicherheitsorganisationen müssen ihre Arbeitsweise transformieren wenn
sie den Daten-Tsunami meistern wollen und ihn in Information
verwandeln, die sichere, offene und robuste Gemeinschaften produziert“.

Für
den europaweiten Datenaustausch haben sich die InnenministerInnen
bereits auf 6 von 49 „Typen relevanter Information“ geeinigt, die
gegenseitig abgefragt werden können: DNA,
Fingerabdrücke, Ballistik, Fahrzeugregistrierung, Telefonnummern und
Meldedaten. Dieser Katalog soll 2009 auf eine „Top Ten“-Liste erweitert
werden. Ein großes Problem sind unterschiedliche Standards der
Mitgliedsländer im Bereich Hardware, Software, Format, aber auch
Systematisierung der Daten. Die „Future Group“ wünscht sich eine
„European Union Information Management Strategy“ (EU IMS),
um Standards zu entwickeln und die Zusammenarbeit der Systeme zu
fördern:
„Der Schlüssel zur Effektivität ist die Nutzung von Technologie, um die
Fähigkeiten einer Gesamtheit von Mitgliedern [orig.: stakeholders] zu
verbinden und sicherzustellen, dass die richtige Information die
richtige Person erreicht“.
Damit alle Polizeiorgane der Mitgliedsländer sowie der EU-Institutionen
besser kommunizieren können, soll eine „interoperable Plattform“
aufgesetzt werden. Bereits vorhandene Datenbanken wie das
Schengen-Fahndungssystem SIS II,
das Frontex-Portal BorderTechNet, das Europol-Netzwerk European
Information System (EIS) oder die biometrische Visums-Datenbank VIS
sollen als „konvergente Netzwerke“ miteinander verknüpft werden. Damit
entstünde ein Überwachungsnetzwerk in bisher unvorstellbarer Dimension,
dessen zentraler Knotenpunkt Europol als „Kompetenzzentrum für
technische und koordinierende Unterstützung“ würde. Europol soll auf
lange Sicht eine „Sicherheitspartnerschaft“ mit Interpol (der
zweitgrößten internationalen Organisation nach den UN) und mit der
Austauschplattform für Nachrichtendienste SitCen eingehen kooperieren.
Der Datenaustausch soll dazu auf „Drittstaaten“ ausgeweitet werden. Im
Fokus steht dabei die USA,
deren Bestimmungen ihrerseits die Weitergabe an andere Behörden und
Länder erlauben. Bis 2014 soll über einen „euro-atlantischen Bereich
der Kooperation“ entschieden werden.

Eine große Rolle spielen
Datenströme „in Echtzeit“. Zum einen ist damit der Zugriff auf die
großvolumigen Datenbestände der Behörden von jedem Ort Europas gemeint,
also auch während eines Polizeieinsatzes. Hierfür werden breitbandige,
mobile Netze aufgebaut. Andererseits erlauben Technologien wie RFID, WLAN oder Bluetooth die direkte Live-Protokollierung von Verhaltensmustern.

„Spezialisierte
Ermittlungstechniken sollten höher auf der Agenda platziert werden
[…] Mitgliedsstaaten sollen Investitionen in innovative Technologie
priorisieren, die eine automatisierte Datenanalyse ermöglicht und
Echtzeitzusammenarbeit verbessern. Forschung in diesem Bereich muß
vorangetrieben werden, sicherstellend dass Ideen schnell aus dem
Forschungskontext zur praktischen Implementierung bewegt werden“.

Mittels
Computern werden Daten von Personen, Objekten oder Delikten
automatisiert (als im Hintergrund arbeitende Prozesse) miteinander
abgeglichen und als Risikoanalyse ausgegeben. Sie können auf Anfrage
als Beziehungsdiagramm dargestellt werden. Die Software kann auch
Audiodateien, etwa Telekommunikationsüberwachung oder Mitschnitte von
Verhören verarbeiten. Im Ergebnis entsteht ein visualisiertes „Mapping“
komplexer Beziehungsstrukturen. Werden mehrere solcher Ebenen
übereinandergelegt, existiert ein dreidimensionales Bild in dem nach
„Clustern“, also Häufungen gesucht wird. Die Software kann
„Entscheidungshilfen“ geben, die sich aus Daten früherer Vorgänge, aber
auch Simulationen (wie z.B. bei allen großen Polizeieinsätzen, z.B.
Gipfeltreffen oder Sportereignisse) speist. In „Echtzeit“ eingesetzt
kann sie eine Häufung „verdächtiger Telefongespräche“ oder, kombiniert
mit biometrischen Verfahren, abweichendes Verhalten wie das Verlassen
eines üblichen Weges oder Kleidungsmerkmale erkennen.

Solche
„Risikoanalysen“ markieren eine Verlagerung der Polizeiarbeit hin zu
einem „Proactive Approach“ (Eigeninitiative; im Kontext von
Polizeiarbeit am besten übersetzt als „vorauseilende, anlassunabhängige
Prävention“). Eine Bevölkerung oder bestimmte Gruppen werden unter
Generalverdacht gestellt und von Maschinen untersucht. Damit wollen
Polizei und Nachrichtendienste Straftaten vorhersehen. Hier findet ein
weiterer, grundlegender Paradigmenwechsel klassischer Polizeiarbeit
statt. Weil Polizei bisher in der Regel erst tätig werden darf, wenn
Straftaten begangen werden bzw. Anhaltspunkte dafür vorliegen, müssen
Polizeigesetze geändert werden.

Das Strategiepapier der
„Future Group“ rät der EU, im Kampf gegen „terroristische Bedrohungen“
sowohl „präventive und repressive“ Mittel einzusetzen, darüberhinaus
aber auch „proaktive“ unter Zuhilfenahme der Zivilgesellschaft und
Wirtschaft entwickeln. Besonderer Augenmerk liegt auf dem Internet.
Neben der Einrichtung von Überwachungszentren soll das Internet
ebenfalls „proaktiv“ mit einer „kulturellen Intelligenz“ unter
Berücksichtigung einer „Cyber-Language“ zur „De-Radikalisierung“
beitragen. Doch damit nicht genug Informationskrieg der
cyber-sprechenden InnenministerInnen. Sie raten zu einer
Medienstrategie, die

„eine klare und überzeugende
positive Botschaft an unterschiedliche Gemeinschaften in Europa und im
Ausland entwickelt – möglichst auch in nicht-europäischen Sprachen,
unter Bezug auf die europäischen grundlegenden Werte von guter
Regierungsführung, Grundrechte und Sicherung von Frieden und Freiheit“.

Datenschutz
bleibt stark unterrepräsentiert im Strategiepapier. Das Kapitel dazu
endet mit dem Wunsch an die Bevölkerung, mehr Überwachung und Kontrolle
selbst zu wollen:

„Die Sicherstellung eines größeren
öffentlichen Verständnis der Vorteile des Datentauschs unter den
Mitgliedsstaaten sollte Priorität haben. Die Strategie sollte die
Zusage beinhalten, den Bürgern der Europäischen Union zu erklären, wie
Information verarbeitet und geschützt wird, auf der Basis von
Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit“.

Die
Neuauflage des Fünfjahresplans für „Home Affairs“ wird von der „Future
Group“ mit einem besorgten Blick auf politische Veränderungen innerhalb
der EU flankiert: Im Frühjahr wird der Kommissions-Präsident neu
bestimmt, im Juni das Parlament neu gewählt. Die Veröffentlichung des
Strategiepapiers „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in
an Open World“ will helfen, damit das neue (vermutlich mehr nach rechts
rückende) Parlament die gravierenden innenpolitischen Veränderungen
zügig durchwinkt. Die Behauptung der InnenministerInnen, ihre Treffen
seien informell, mag zutreffen; ihre Schlußfolgerung dass das
Strategiepapier deshalb nur als „Reflektionen und Ideen“ verstanden
werden solle, kann getrost als Euphemismus ignoriert werden.

„A hungry man is an angry man“

Das NATO-Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ [4]

Die NATO
sieht ihrem 60. „Geburtstag“ mit großen Plänen einer Transformation und
einer Expansion des Einflussbereichs entgegen. 2009 soll die zunehmende
Unsicherheit der Welt mit einer reformierten und aufgerüsteten NATO,
neuen Mitgliedern, Aufgabenbereichen, Mitteln und vereinfachten
Entscheidungsstrukturen beantwortet werden. Das bisher gültige
Konsensprinzip soll aufgehoben werden, Enthaltungen einzelner
Regierungen können keine Mission blockieren. Nur wer Krieg führt darf
mitbestimmen (bzw. nur wer bezahlt darf Krieg führen). Künftig sollen NATO-Einsätze ohne UN-Mandat möglich sein.

Als
„transatlantisches Verteidigungsbündnis“ europäischer Länder und
Nordamerika gegen die Sowjetunion Ende des Zweiten Weltkriegs
gegründet, sucht die NATO seit Ende des
Kalten Kriegs nach neuen Aufgaben in den veränderten geopolitischen und
ökonomischen Koordinaten. Missionen wurden unter dem Oberbegriff „Human
Security“ als „Friedenserhaltungs-“ und „humanitäre Interventionen“,
„Krisenmanagement“ oder „Verhinderung von Bürgerkriegen“ deklariert.
Gegenwärtig operieren NATO-Truppen in
Afghanistan, Irak, Darfur, Kosovo. Mindestens 240 Atomraketen sind
allein in Europa stationiert (Belgien, Deutschland, Italien,
Niederlande, Türkei).

„Der nukleare Erstschlag (‘first
use of nuclear weapons’) muss als letzte Option im Köcher verbleiben,
um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und dadurch eine
tatsächlich existentielle Bedrohung zu verhindern“.

Die Überholung des bisherigen NATO-Strategiekonzepts
ist auf die militärische Absicherung gegen neue Herausforderungen
sozio-ökonomischer Konflikte gerichtet: Klimawandel, Energiekrisen,
Nahrungsmittelkrisen, „unkontrollierte Migration“, „Menschenhandel“ und
„Terrorismus“. Neue Bedrohungsszenarien werden als Grundlage für die
veränderte Ausrichtung der NATO
herangezogen: Naturkatastrophen, Rohstoffkriege, „wütende hungrige
Männer“ die sich nicht mehr unter Kontrolle haben und somit
aufständisch werden (NATO-Webseite), weibliche “Opfer“ von
Menschenhandel, die „gerettet“ werden müssen, was für die Betroffenen
oft den Verlust der Arbeit und Abschiebung bedeutet.

Das
„Defensivbündnis“ soll also zukünftig offensiv und gezielt auf
„Sicherheitskrisen“ der Mitgliedsstaaten reagieren, um gegen
Herausforderungen einer neuen Ära der Unsicherheit handlungsfähig zu
werden:

„Die NATO muss sich zu
einem effizienteren Instrument für die Analyse der sozio-ökonomischen
Bedingungen entwickeln, die Sicherheitsproblemen zu Grunde liegen“.

Die
„zivil-militärische Zusammenarbeit“ soll ausgebaut, Aufgabenbereiche
verschränkt werden. Der „Umfassende Ansatz“ fordert den „gleichzeitigen
Einsatz aller zur Verfügung stehenden zivilen und militärischen
Elemente, um Feindseligkeiten zu beenden und die Ordnung
wiederherzustellen“. Als „zivile Elemente“ gelten z.B. Polizei,
Nachrichtendienste, Forschung, Akademien, Zivilschutz, aber auch die
private Sicherheitsindustrie. Die NATO
möchte verstärkt auf die polizeiliche „Europäische Gendarmerietruppe“
mit Sitz im italienischen Vicenza zurückgreifen. Mit der
„zivil-militärischen Zusammenarbeit“ vollzieht sich eine
Militarisierung polizeilicher Arbeit, unterfüttert durch
innenpolitische Aufrüstung und Anti-Terror-Gesetze. Gemäß der Logik,
dass der Terror nun „zuhause“ angekommen sei, ist ein Einsatz des
Militärs im Inland leicht zu vermitteln. Dieser „Umfassende Ansatz“ der
NATO findet sein Echo in Strategienpapieren der InnenministerInnen der NATO-Staaten,
die ihrerseits an einer Verschmelzung der inneren und äußeren
Sicherheit bzw. „Homeland Security“ arbeiten: Mehr Militärpräsenz im
Inland, bessere Zusammenarbeit der In- und Auslandsgeheimdienste,
gemeinsame Datenbanken (Datenbanken von Europol werden z.B. für
militärische Aufklärung im Kosovo genutzt). Die NATO
sieht sich als Garant der Sicherheit „kritischer Infrastruktur“ (z.B.
Energie, Transport, Kommunikation) innerhalb der Mitgliedsländer.

Durch
das Schüren der Unsicherheit werden „präemptive“ und „proaktive“
Maßnahmen“ gefordert, die potentielle Bedrohungen voraussehen und
verhindern sollen bevor sie überhaupt existieren. Das eigene Militär
soll stets die Initiative, Deutungs- und Entscheidungshoheit behalten.
Unterschieden wird zwischen Eigeninitiative (proaktiv), Präemption,
Prävention und Reaktion, um einen qualitativ neuen Ansatz des
Voraussagens und Bekämpfens von Risiken zu ermöglichen:

„Abschreckungspolitik
in unserer Zeit bedeutet nach wie vor die Schaffung von Unsicherheit im
Kopf des Feindes – nicht länger als Reaktion auf einen Angriff, sondern
proaktiv […]. Präemption ist der Versuch, sich die Initiative
anzueignen ,um den Konflikt zu beenden […]. Prävention ist die
reaktive Antwort wenn die Aktion des Gegners als unmittelbar
bevorstehend erfasst wird; während Präemption ein selbst initiierter
Schritt ist, der auf Verweigerung – und somit Beendung des Konflikts –
ausgerichtet ist in einer Situation, wo die Bedrohung noch nicht
besteht aber wo unweigerliche Indizien darauf hinweisen, dass ein
Konflikt unvermeidbar ist. Präemption wird unter Internationalem Recht
als legaler Akt der Selbstverteidigung angesehen, wobei die Frage der
Legalität des präventiven Einsatzes von Gewalt bisher als unbeantwortet
gilt“.

Hier wird also der Weg geebnet, um noch nicht
real-existierende Bedrohungen als Anlass zu nehmen, militärisch
einzugreifen, wo Herrschaftsinteressen gesichert werden müssen.

Zwar erklärt das NATO-Papier,
dass die sozio-ökonomischen Grundlagen der Konflikte untersucht werden
müssten, um die Situation besser zu verstehen, jedoch die Intention
solcher Auseinandersetzungen ist klar definiert und ist auf die
Sicherung ökonomischer Umstrukturierungen im Sinne einer neoliberalen
Weltordnung ausgerichtet:

„Das Vorhaben wird oft die
Errichtung von ‘Good Governance’, freier und gerechter Handel (inkl.
freier und friedlicher Zugang zu kritischen Rohstoffen) und ökonomische
Entwicklungshilfe, wie verlangt wird, um einen funktionierenden Staat
herzustellen“.

Dieser Herrschaftsdiskurs findet sich in offensiven Medienstrategien als Teil des „Comprehensive Approach“ wieder:

„Diese
Schritte müssen im Anschluss an gut koordinierte und selbst initiierte
Medienarbeit gemacht werden, die helfen könnten, das Vorhaben zu
erreichen ohne militärisch eingreifen zu müssen. Auch kann eine solche
Medienarbeit den Weg ebnen für eine ‘Herz und Verstand’-Kampagne, die
jede militärische Intervention begleiten sollte“.

NATO-Interventionen
unterwerfen Alltagskämpfe und soziale Bewegungen in den betroffenen
Ländern einer Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung und
Stabilität zur Kapitalakkumulation. Die Militarisierung sozialer
Konflikte reicht allerdings weit über NATO-Einsätze
hinaus und ist geprägt von einem hegemonialen gesellschaftlichen
Diskurs: Überwachung, Datenspeicherung, Kriminalisierung von Armut,
militärische Bekämpfung von MigrantInnen, Militäreinsätze im Innern
sind Ausdruck einer Zuspitzung gesellschaftlicher Gegensätze, die sich
nicht mehr durch Einbindung/ Integration lösen lassen („The Dark Side
of Globalisation“). Auch Klimawandel wird in diesem Weltbild als
Bedrohung angesehen, dessen sozialen Auswirkungen in den
Aufgabenbereich der NATO fallen. Weltweit wird eine Zunahme von Konflikten als Auswirkung einer ungleichen Verteilung seiner Konsequenzen erwartet .

“Klimawandel
wirkt sich auf fast alle unsere Lebensbereiche aus, auch auf Sicherheit
und die geopolitische Situation. Es wird erwartet, dass Klimawandel
eine weitere Umverteilung des Wohlstands, sowie Migration erzeugen
wird. Manche Regionen sind schon immer an der Peripherie der Welt
gewesen,, so wie Grönland oder Sibirien, manche werden strategisch
wichtig werden. Kanada hat jetzt schon mit den USA
Souveränitätskonflikte über die kanadische Arktis. Der Konflikt in
Darfur wird als ‘erster Klimawandel Krieg’ angesehen, der auf
jahrelange Dürre und daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit
zurückzuführen ist”
[5]

Ein „Comprehensive Approach“ sozialer Bewegungen

Vorschlag für eine Kampagne gegen die EU

Die
beschriebenen Phänomene stellen soziale Bewegungen vor große
Herausforderungen. Die Auseinandersetzung damit kann nicht nur
Friedens-, Antimilitarismus-, Bürgerrechts- oder Antirepressionsgruppen
überlassen werden – zumal diese größtenteils im nationalen Rahmen
agieren.

In einer Gesellschaft, die durch ökonomische
Umstrukturierungen die Teilung in GewinnerInnen und VerliererInnen
forciert und sich auch im globalen Rahmen Gegensätze verschärfen, sind
„übergreifende Ansätze“ wie der „Comprehensive Approach“ und „Homeland
Security“ der Versuch, Ordnung und Sicherheit im Sinne der
Kapitalverwertung und des Freihandels zunehmend mit militärischen
Mitteln zu sichern. Wo Konflikte entstehen, die durch Zugeständnisse
und Einbindung nicht mehr lösbar sind, geht der Versuch, globale
Wettbewerbsfähigkeit und Ressourcensicherung zu erreichen einher mit
der Verschärfung der Sicherheitsapparate einher. Die Auswirkungen davon
werden im Alltag als zunehmende soziale Kontrolle, Kriminalisierung von
Armut und Migrationsbekämpfung erfahren. Jeder gesellschaftliche
Konflikt wird als potentielle Bedrohung angesehen. Mit einer Politik
der Angst werden Feindbilder und Bedrohungsszenarien handlungsweisend,
autoritäre und militarisierte Herrschaftsstrategien legitimiert und
durchgesetzt. Mehr Kontrolle, Ausbeutung und der Ausnahmezustand werden
zum Normalfall.

Wir wollen einen „Summer of Resistance 2.0“ gegen die EU und NATO
initiieren, der einen Höhepunkt in der schwedischen Präsidentschaft
2009 findet und an die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Italien
andockt. Damit schließen wir uns dem Vorschlag an, 2009 zu einer
allgemeinen Auseinandersetzung und Intervention gegen die EU-Politik
aufzurufen (siehe dazu http://openesf.net/projects/asm/blog/2008/07/01/asm-kyievkiev-report-call-for-mobilisation-2009).
Etliche europäische Gruppen setzen sich kritisch mit EU-Politik
auseinander bzw. sind von ihren Auswirkungen betroffen. Themen und
damit Trägerkreise einer solchen Kampagne könnten sein:

  • Migration
  • Filesharing-Netzwerke
  • Alternative Provider
  • Terrorismus-Verfahren
  • Vorratsdatenspeicherung
  • Kritische AnwältInnen
  • Bürgerrechte
  • Lissabon-Vertrag
  • Antimilitarismus
  • Friedensbewegung
  • NATO
  • G8
  • Economic Partnership Agreements (EPAs; Wirtschafts-Partnerschaftsabkommen der EU)
  • Klima, Umwelt

Vernetzte
und gemeinsam handelnde Soziale Bewegungen können den
Sicherheitsphantasien und -strategien Grenzen setzen, um so einen Raum
zu schaffen um Alternativen sichtbar werden zu lassen. Wir wünschen
uns, diesen Vorschlag auf zukünftigen Zusammenkünften sozialer
Bewegungen zu diskutieren. Über Feedback freuen wir uns unter
mail@gipfelsoli.org.

[1]
General a. D. Klaus Naumann (D), General John Shalikashvili (USA),
Feldmarschall Lord Peter Inge (UK), Admiral Jacques Lanxade (F),
General Henk van den Breemen (NL).

[2] Die „Future Group“
bezeichnet sich selbst als „informelle Gruppe“, die Visionen für
europäische Innenpolitik entwickelt. Sie wurde 2007 unter deutscher
EU-Präsidentschaft von InnenministerInnen Schäuble und dem damaligen
EU-Vizepräsidenten und Kommissar für „Freiheit, Sicherheit und Recht“,
Frattini, initiiert.

[3] Alle im Folgenden nicht anders
gekennzeichneten Zitate aus dem Strategiepapier „Freedom, Security,
Privacy – European Home Affairs in an Open World“

[4] Alle im Folgenden nicht anders gekennzeichneten Zitate aus „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“

[5] NATO Parliamentary Assembly Committee Report 2007 Annual Session, „Climate Change: Thinking Beyond Kyoto“, http://www.nato-pa.int/Default.asp?SHORTCUT=1177

Hintergrund:

Gipfelsoli

September 2008

http://gipfelsoli.org | http://euro-police.noblogs.org