Gegen NATO, G20, G8, Frontex und das “Stockholm Programm”!
Sicherheitsarchitekturen einstürzen!
Seit Ende des letzten Jahrtausends findet innerhalb der EU ein Umbau
der “Sicherheitsarchitektur” statt, der durch die Anschläge des 11.
September 2001 in den USA nochmals
beschleunigt wurde. Sichtbare Phänomene sind z.B. die Verschränkung
innerer und äußerer Sicherheit, ein “Pooling” von Verfolgungsbehörden
und Nachrichtendiensten und ein vereinfachter Datenaustausch.
Auf technischer Ebene werden wir konfrontiert mit neuen digitalen
Überwachungskameras, Satellitenbeobachtung, Biometrie, Drohnen,
Software zur intelligenten Suche in Datenbanken und neuen,
breitbandigen Netzen zur Verwaltung dieser immensen digitalen
Datenflut.
Neue Institutionen und Behörden wurden geschaffen, darunter das “Europäische Polizeiamt” Europol, die Polizeiakademie CEPOL,
die “Grenzschutzagentur” Frontex oder der “Ausschuss für die operative
Zusammenarbeit” aller polizeilichen Einrichtungen der EU samt ihrem
geheimdienstlichen Lagezentrum.
Auf Initiative der damaligen französischen Verteidigungsministerin (und
jetzigen Innenministerin) Michèle Alliot-Marie wurde 2004 die
“Europäische Gendarmerietruppe” (EGF) eingerichtet. Die EGF
soll in Krisengebieten die “Öffentliche Ordnung” gewährleisten,
Aufstandsbekämpfung betreiben, geheimdienstliche Informationen
beschaffen und Eigentum schützen.
Die Sicherheitsindustrie dürfte einer der wenigen Zweige sein, der
von der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus und den daraus
resultierenden Kämpfen gewaltig profitiert. Europas Polizeien bereiten
sich auf Protest und Widerstand gegen die Auswirkungen der Krisen vor.
Selbst der Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds IWF räumt ein, dass zukünftig mehr Aufstände zu erwarten sind.
Die Institutionen der “führenden Wirtschaftsnationen” sind gezwungen,
sich neu zu organisieren. Die diesjährigen “Gipfeltreffen” der NATO,
G8 und G20 sind für diese Neuordnung von zentraler Bedeutung. Themen
wie Klima, Migration oder Landwirtschaft werden als
sicherheitspolitische Risiken zur Bedrohung eines “westlichen
Lebensstils” betrachtet.
Innerhalb der Europäischen Union finden innenpolitische Veränderungen
statt, deren Auswirkungen gegenwärtig kaum einschätzbar sind.
Alle fünf Jahre beschließen die Innen- und Justizminister der EU
neue Richtlinien einer gemeinsamen Innenpolitik. Das
“Tampere-Programm”, 1999 unter finnischer Präsidentschaft beschlossen,
hatte hauptsächlich eine “Steuerung der Migrationsströme” zum Inhalt.
Neben der Aufwertung der Polizeibehörde Europol wurde die Einrichtung
einer “Task Force der europäischen Polizeichefs” beschlossen, die sich
mit “internationalem Terrorismus” und “gewalttätigem politischem
Aktivismus” beschäftigt.
2004 wurde mit dem “Haager Programm” die Schaffung eines “Raums der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” verabredet. Wieder wurden
Verschärfungen in der Migrationspolitik beschlossen, darunter der
Aufbau der “Grenzschutzagentur” Frontex und das Abfangen von
Flüchtlingen bereits in ihren Herkunftsländern. Das “Haager Programm”
stellte die “Abwehr von Terrorismus” in den Mittelpunkt. Auf der Ebene
des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit galt fortan das
“Prinzip der Verfügbarkeit”.
Die Richtlinien von 2004 sind bereits von vielen EU-Mitgliedsstaaten
umgesetzt: Vereinheitlichung der “Terrorismus”-Gesetzgebung,
Vorratsdatenspeicherung, Ausbau bestehender Datenbanken und gemeinsamer
Zugriff darauf, grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit z.B. bei
Sportereignissen oder politischen Massenprotesten, “Border Management”,
Fingerabdrücke bei Antrag auf EU-Visum, ab 2009 biometrische
Identifikatoren in neuen Ausweispapieren, Ausbau der
Sicherheitsforschung, Zusammenarbeit in Strafsachen, Polizei im Ausland
etc.
Das “Haager Programm” läuft aus, ein neues Programm soll nun im
Herbst 2009 in Stockholm unter schwedischer EU-Präsidentschaft
verabschiedet werden.
Während des deutschen EU-Vorsitzes 2007 schuf der deutsche
Innenminister Wolfgang Schäuble mit dem damaligen EU-Kommissar für
Inneres (“Justice and Home Affairs”), Franco Frattini, die “Future
Group”. Diese “Future Group” bezeichnet sich selbst als “informelles
Gremium” europäischer Innenminister, das Leitlinien europäischer
Innenpolitik erarbeitet. Zur Verabschiedung des neuen “Stockholm
Programms” hat die “Future Group” eine Wunschliste für
“Polizeikooperation, Kampf gegen den Terrorismus, Management von
Missionen in Drittstaaten, Migration und Asyl sowie Border Management,
Zivilschutz, neue Technologien und Informationsnetzwerke” vorgelegt.
Prioritäten sind das “Aufrechterhalten des ‘Europäischen Modells’”,
“Bewältigen der zunehmenden Abhängigkeit zwischen innerer und äußerer
Sicherheit” sowie die Gewährleistung eines “bestmöglichen Datenflusses
innerhalb europaweiter Netzwerke”.
Die Maßnahmen, die in Stockholm beschlossen werden sollen, sind erst
in einigen Jahren mit ihrer Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten
spürbar. Es stehen tiefgreifende Veränderungen auf dem Spiel: Ausbau
und Vereinheitlichung von Polizei-Datenbanken, ein zentrales
Bevölkerungsregister, “grenzüberschreitende Onlinedurchsuchung”, mehr
Kontrolle des Internet, bessere Satellitenüberwachung, “Risikoanalyse”
mittels Software, “e-borders” und “e-justice”, gemeinsame
Abschiebeflugzeuge und – flüge, neue Flüchtlingslager in
“Drittstaaten”, Einsatz des Militärs zur Migrationsabwehr, mehr
polizeiliche Interventionen außerhalb der EU, Ausbau der
paramilitärischen “Europäischen Gendarmerietruppe”, mehr Zusammenarbeit
der In- und Auslandsgeheimdienste etc.
Angestrebt wird eine Art innenpolitische NATO mit der Schaffung einer “euro-atlantischen Kooperation im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht” ab 2014.
Auch in der NATO wird europäischer
Innenpolitik eine zentrale Rolle beigemessen. Einerseits werden immer
mehr Polizeimissionen in “Drittstaaten” lanciert, die dort Aufgaben der
Militärs verrichten, Aufstände niederschlagen und lokale Polizeien
trainieren. Zum anderen spielen NATO-Strategen
den europäischen Innenministern den Ball gern zurück und verweisen auf
die Wichtigkeit europäischer “Homeland Security”, ohne die eine “starke
Verteidigung” nach außen nicht möglich sei. Die NATO
sieht sich als Garant der “Sicherheit kritischer Infrastruktur” (z.B.
Energie, Transport, Kommunikation) innerhalb der Mitgliedsländer.
Das Strategiepapier “Towards a Grand Strategy for an Uncertain World”
von fünf Ex-Generälen, die in der Rüstungsindustrie verankert sind,
fordert den Ausbau der “zivil-militärischen Zusammenarbeit”. Als
“zivile Elemente” gelten z.B. Polizei, Nachrichtendienste, Forschung,
Akademien, Zivilschutz, aber auch die private Sicherheitsindustrie. Die
NATO will verstärkt auf die “Europäische Gendarmerietruppe” zurückgreifen.
Mit der “zivil-militärischen Zusammenarbeit” verschärft sich die
Militarisierung sozialer Konflikte, unterfüttert durch innenpolitische
Aufrüstung und neue “Anti-Terror”-Gesetze.
Der frühere EU-Kommissar für “Justice and Home Affairs”, Franco
Frattini, wechselte nach den Wahlen in Italien 2008 ins Kabinett
Berlusconis. Als neuer Außenminister ist er nun zuständig für den G8
auf der sardinischen Insel La Maddalena. Frattini sieht “Sicherheit”
als zentrales Profil der neuen G8-Strukturen: “Europa kann, statt bloß
Konsument, ein Produzent von Sicherheit werden. EU und NATO müssen sich aber integrieren statt sich zu überlagern. Wir werden diesen Gedankengang im Rahmen des G8 wieder aufgreifen”.
Italien verabschiedet “Sicherheitspakete” mit weitreichenden
Verschärfungen für MigrantInnen. Nachdem die EU Lybien bereits mit
Finanzhilfe zur Flüchtlingsabwehr ausgestattet hatte, hat auch Italien
ein neues Kooperationsabkommen mit der lybischen Regierung
unterzeichnet. Der italienische Rüstungskonzern Finmeccanica liefert
Schnellboote, das Innenministerium freut sich dass Migration nun “auf
null” reduziert würde.
Frattini bereiste Anfang 2009 Angola, Sierra Leone, Senegal und Nigeria
um “Rücknahmeabkommen” für MigrantInnen auszuhandeln, die Länder mit
Flüchtlingslagern auszustatten und fälschungssichere Pässe einzuführen.
Es geht um Rohstoffsicherheit und ihre polizeiliche Durchsetzung: Im
Gegenzug räumt Frattini den Regierungen eine Audienz beim G8-Gipfel
ein, um den “Dialog zwischen erdölproduzierenden und – konsumierenden
Ländern zu fördern”. Im Gefolge Frattinis reiste der italienische
Polizeichef, um sofort die Umsetzung neuer Verträge zur
Polizeiausbildung und Kooperation einzuleiten.
Als Auswirkungen des Zusammenbruchs des globalen Kapitalismus werden
weltweit mehr Aufstände erwartet. Mit den jüngsten Riots in
Griechenland, Island, Schweden, Litauen, Lettland, Bulgarien,
Frankreich, Guadeloupe und Lampedusa ist Europa unmittelbarer
Austragungsort heftiger Widersprüche und militanter Kämpfe geworden.
Die in den zahlreichen Richtlinien, bilateralen Abkommen und Verträgen
der letzten Jahre abgestimmten Maßnahmen für “Europa als Raum von
Freiheit, Sicherheit und Recht” werden längst gegen
antikapitalistischen Widerstand in Stellung gebracht, radikale Projekte
und Bewegungen mit Ermittlungen und Verfahren nach “Terrorismus”
überzogen. “Gemeinsame Ermittlungsgruppen” forschen, unterstützt von
Europol, internationale Netzwerke aus. Handbücher und Datenbanken über
“Troublemaker” sollen Proteste bei internationalen Großereignissen
unter Kontrolle bringen.
Widerstand gegen die Zunahme von Überwachung und Kontrolle, gegen
Repression und Aufstandsbekämpfung bleibt noch viel zu oft auf
nationalstaatlicher Ebene stecken.
Wir rufen deshalb dazu auf, 2009 in mehreren grenzüberschreitenden
Mobilisierungen die Entwicklung eines transnationalen Kampfes gegen die
“Sicherheitsarchitekturen” voranzutreiben, egal ob sie von der NATO, den G8 oder EU zusammengezimmert werden sollen.
Wir sehen den Aktionstag zum NATO– Gipfel als Auftakt einer Kampagne für einen “Summer of Resistance 2009” gegen das globale “Sicherheitsregime”:
1. – 5. April | Frankreich/ Deutschland | NATO-Gipfel in Strasbourg, Baden-Baden und Kehl
8. – 10. Juli | Italien | G8-Gipfel | La Maddalena
25. – 31. August | Griechenland | no border camp | Lesvos
November oder Dezember | Schweden | Treffen der EU Innen- und Justizminister | Stockholm
Sicherheitsarchitekturen einstürzen!
¡No Pasarán! France | Gipfelsoli | Dissent! France | NoLager Bremen
| Resistance des deux rives / Widerstand der zwei Ufer | transact | six
hills Berlin | kein mensch ist illegal Hanau